Die Suche nach der Öko-Pute
Ergebnisse des Forschungsprojektes auf dem Bauckhof Klein Süstedt
Seit Anfang des 20. Jahrhunderts und insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg hat sich die Nutztierhaltung mit rascher Geschwindigkeit verändert. Wo über Jahrhunderte kleine Höfe die Landschaft prägten, die ein paar Hühner, Kühe und wenige Schweine hielten, stehen nun spezialisierte Agrarfabriken, die Einheitsprodukte in Masse produzieren.
Diese Entwicklung macht sich besonders durch die Spezialisierung der Branche bemerkbar. Heute lässt der Bauer seine Glucke nicht mehr brüten, um Küken zu erhalten. Alle Schritte finden in getrennten Betrieben statt: Zucht, Brüterei, Aufzucht, Mast des Geflügels oder die Legehennenhaltung und die anschließende Schlachtung. Dies gilt auch für die Putenzucht und -haltung, für die es weltweit nur zwei Konzerne gibt, die eine intensive Leistungszucht betreiben. Die Konzerne produzieren Eier, welche wiederum an Brütereien geliefert werden, die die Küken anschließend an Mäster weitergeben. In der Putenhaltung werden nur Tiere eingesetzt, die ein hohes Leistungsniveau, d. h. einen hohen Brustanteil und ein schnelles Wachstum haben. Mit der Spezialisierung entwickelte sich auch eine Intensivierung der Branche. Kennzeichnend hierfür ist, dass in der Haltung der Tiere die Wirtschaftlichkeit im Vordergrund steht. Mit entsprechenden Folgen: Es werden so viele Tiere wie möglich mit wenig Platzangebot, unter möglichst geringem Einsatz von Futter und Arbeitsaufwand gehalten. Dieser Ansatz ist allerdings in Bezug auf das Tierwohl problematisch, da sich die Haltungsbedingungen und das hohe Leistungspotenzial negativ auf die Verhaltensmöglichkeiten und den Gesundheitszustand der Tiere auswirken. Vor diesem Hintergrund haben sich aus der Ökonomisierung, um günstig Fleisch zu produzieren, verschiedene, häufig auftretende Krankheiten entwickelt. Auch in der ökologischen Putenhaltung finden sich diese Probleme wieder, da es so gut wie keine wirtschaftlich tragfähigen, alternativen Putenrassen mehr gibt. So leiden die schnellwachsenden Puten aus der konventionellen Zucht in der ökologischen Haltung an den gleichen Krankheiten, obwohl sie unter tiergerechteren Bedingungen auf den Bio-Betrieben gehalten werden. Es besteht daher ein dringender Bedarf, extensivere Putenherkünfte in der ökologischen Putenhaltung einzusetzen.
Forschung in Klein Süstedt
Es liegen kaum wissenschaftliche Daten zu der Eignung langsamer wachsender Putenherkünfte vor. Daher wurde auf dem Bauckhof Klein Süstedt ein Forschungsprojekt in Zusammenarbeit mit der Universität Kassel durchgeführt, um die Eignung alternativer Genetiken für ökologische Haltungsbedingungen zu überprüfen. Ausgewählt wurden die langsamer wachsenden Puten „Hockenhull Black“ und „Hockenhull Bronze“. Sie wurden hinsichtlich ihres Verhaltens, ihrer Gesundheit, Leistung und Fleischqualität mit der Kelly Bronze-Pute als Kontrollgenetik verglichen. Kelly Bronze-Puten werden bereits teilweise auf Biobetrieben eingesetzt, daher liegen einige Ergebnisse aus wissenschaftlichen Untersuchungen für diese Tiere vor. Im Rahmen des Forschungsprojekts wurden drei fünfmonatige Mastdurchgänge mit jeweils knapp 300 männlichen Tieren durchgeführt. Die Puten wurden in einem Mobilstall unter Anwendung einer 100 Prozent ökologischen Fütterung gehalten.
Ergebnisse
Um Aufschluss über das Verhalten der Tiere zu gewinnen, wurden der Gefiederzustand und die Verletzungsrate beurteilt. Im Ergebnis zeigte sich, dass im Mittel über alle Untersuchungszeitpunkte 83 Prozent der Tiere Gefiederschäden und 33 Prozent Verletzungen aufwiesen. Die Gefiederschäden waren allerdings nur geringfügig, d. h. es waren in der Regel nur einzelne Federn beschädigt. Der Anteil betroffener Tiere ist ähnlich hoch wie es in vergleichbaren Untersuchungen in konventioneller und ökologischer Haltung der Fall war. Die praxisunüblichen kleinen Abteile und soziale Auseinandersetzungen, die überwiegend mit dem normalen Verhalten der halbwüchsigen männlichen Puten zu tun haben, konnten als Ursache für aufgetretene Gefiederschäden und Verletzungen identifiziert werden. Die Verhaltensstörungen Federpicken und Kannibalismus traten, mit Ausnahme von vier Einzelfällen, nicht auf.
Insgesamt starben 7,1 Prozent der Puten über die gesamte Aufzucht und Mast, ein moderater Wert im Vergleich zu vorliegenden Daten aus anderen Erhebungen. In allen drei Mastdurchgängen trat zudem eine Infektionserkrankung auf, an der in anderen Fällen oft bis zu 90 Prozent der Puten in einer Herde sterben. Vor diesem Hintergrund kann die aufgeführte Zahl von gestorbenen Tieren als sehr gering bezeichnet werden. Im Mittel waren über alle Untersuchungszeitpunkte hinweg 17 Prozent aller Puten in der Gehfähigkeit eingeschränkt. Die Genetik Hockenhull Bronze war stärker von dieser Einschränkung betroffen. Darüber hinaus wiesen im Mittel 22 Prozent der Tiere Fehlstellungen der Beine auf. Fußballenentzündungen konnten im Mittel bei 44 Prozent der Tiere gefunden werden. Von dieser Erscheinung war die leichteste Genetik Hockenhull Black am stärksten betroffen. Im Mittel waren über alle Untersuchungszeitpunkte 4 Prozent der Puten von Brusthautveränderungen betroffen. Davon war Kelly Bronze stärker betroffen. Die vier aufgeführten Parameter geben Auskunft über den Gesundheitsstatus der Tiere. Der Anteil an betroffenen Tieren war in der vorliegenden Untersuchung deutlich geringer, als es in vergleichbaren konventionellen und ökologischen Untersuchungen der Fall war.
Abb. 1 zeigt die Entwicklung des Lebendgewichts der drei Putengenetiken. Obwohl Unterschiede vorlagen, waren diese nicht statistisch signifikant. Das Schlachtkörpergewicht, das Brustgewicht und die täglichen Zunahmen waren bei der kleinsten Genetik Hockenhull Black allerdings erheblich geringer. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass im vorliegenden Forschungsprojekt zu 100 Prozent ökologisch gefüttert wurde, sind die Leistungen als hoch einzuschätzen. Dies zeigt sich auch in der Gegenüberstellung mit vorhandenen Daten. Die Überprüfung der Fleischqualität zeigte keine Qualitätsmängel und ergab insgesamt ähnliche Ergebnisse wie es in vergleichbaren Untersuchungen der Fall war.
Zusammenfassend kann gesagt werden, dass alle drei untersuchten Herkünfte eine gute Leistung und Fleischqualität bei vergleichsweise moderaten Verhaltens- und Gesundheitsproblemen erbrachten. Es lagen nur wenige signifikante Unterschiede zwischen den drei Putengenetiken vor. Alle Tiere haben somit nach den vorliegenden Ergebnissen mit nur geringen Einschränkungen das Potential, bei einem guten Management unter ökologischen Haltungsbedingungen erfolgreich gehalten zu werden. Auch wenn das hohe Leistungspotenzial der Mastputen als eine entscheidende Ursache für bestehende Gesundheits- und Verhaltensprobleme angesehen wird, zeigte die leichteste Pute im vorliegenden Versuch nicht durchgängig die besten Ergebnisse. Das weist darauf hin, dass alle genannten Problembereiche durch verschiedene Faktoren und nicht nur durch die Hochleistungen der Tiere beeinflusst werden. Da das Leistungsniveau aller untersuchten Puten immer noch vergleichsweise hoch war, wäre es interessant, ein ähnliches Forschungsprojekt mit deutlich langsamer wachsenden Puten durchzuführen. Zusammengenommen konnte das Forschungsprojekt wesentliche Erkenntnisse liefern, es sind aber weiterhin Fragen offen, um das langfristige Ziel zu erreichen, dass angepasste Putengenetiken, die aus ökologischen Zuchtprogrammen stammen, eingesetzt werden können.
(Anna Olschewsky)
1 Das Projekt wurde durch die Landwirtschaftliche Rentenbank und die Mahle-Stiftung gefördert.